Mit dem Entführungsbild von Hanns Martin Schleyer beweist die RAF, dass Schleyer am Leben ist. Doch das hätte auch durch eine persönliche Nachricht geschehen können. Es geht also um mehr als um einen Lebensbeweis. Die RAF will, dass dieses Bild in den Nachrichten veröffentlicht wird. Doch Warum? Das Foto ist präzise inszeniert.01 Es gibt deutliche Hinweise auf die Absicht der Terroristen. Was haben Sie vor? Warum gerade dieses Bild?
Gerade inszenierte Bilder wollen eine ganz bestimmte Wirkung erzielen, die gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben muss. Sie wollen die Wahrnehmung des Zuschauers beeinflussen. Es gilt also zu klären: Wie soll das Entführungsopfer wahrgenommen werden? Und: Wie will die RAF wahrgenommen werden?
Um die Absichten der Terroristen zu erkennen, achte nun auf die Details und verknüpfe deine Beobachtungen mit dem kulturellen Hintergrundwissen.
Wie lernst du genau zu beobachten?
Setze die einzelnen Bildelemente zueinander in Beziehung. Ein erster Schritt dazu ist es, das Bild in
seinem Aufbau klar
geordnet zu beschreiben und zu benennen, welchen Zweck dieses Element erfüllt.
Hier ein Beispiel:
Das Bild besitzt drei Ebenen, die von unten nach oben gelesen werden können: das Schild, den Mann, das Logo. Dabei ist die Reihenfolge wichtig:
Erst die propagandistische Information auf dem Plakat, dann das Bild des Opfers als Lebensnachweis, darüber das Logo der RAF als einfach wiederzuerkennendes Zeichen dafür, wer die Macht besitzt… 04
Hanns Martin Schleyer ist mehr als nur ein „Gefangener“ der RAF-Entführer. Mit dem Foto wollen sie zeigen, wer Schleyer in ihren Augen ist, und wie sie sich selbst sehen. Dazu verwendet die RAF eine Bildsprache, die die Menschen 1977 verstanden.
Ein zweiter Schritt, um genau beobachten zu lernen, ist es, zentrale Elemente des Bildes zu verändern und beide Versionen dann zu vergleichen. Allerdings kann man historische Fotos nicht alleine aus sich heraus verstehen. Du benötigst noch historische und kulturelle Informationen , die dir Aufschluss darüber geben, worauf die Terroristen anspielen.
Durch die Bildinszenierung werden Hanns Martin Schleyer bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Worauf verweisen das Schild, die Kleidung und das Logo? Wähle zwei der drei Objekte aus und gehen folgendermaßen vor:
Seit Ende des 19. Jahrhunderts werden Verbrecherkarteien geführt, in denen kriminelle Personen (auch mit Schildern vor der Brust) fotografiert wurden, um sie zu identifizieren. Diese „Verbrecherfotos“ sind heute? Teil der „erkennungsdienstliche Behandlung“, die von der Polizei gesetzlich durchgeführt werden darf.
Dass Menschen gedemütigt werden, indem man sie öffentlich zur Schau stellt und dabei eine beschriftete Tafel vor sie hält, ist in allen Kulturkreisen so lange bekannt, wie es schriftliche Überlieferungen gibt… Solche Inszenierungen sind als Strafen im arabisch-asiatischen Raum wie im europäischen Mittelalter bekannt; Die Nationalsozialisten demonstrierten so, dass Menschen nicht zur deutschen „Volksgemeinschaft“ gehörten, also sie ausgrenzten.
Die RAF nimmt für sich in Anspruch, im Namen des Volkes gegen den Staat zu kämpfen. Daher nannte sie selbst der Ort, an dem Hanns Martin Schleyer gefangen gehalten wurde, „Volksgefängnis“.
Gefangener ist in erster Linie die Bezeichnung für Personen, denen der Staat die Freiheitsrechte entzogen hat. Sie befinden sich unter staatlicher Aufsicht in einem Gefängnis in Haft. Als Geisel dagegen wird eine Person bezeichnet, die von Geiselnehmern widerrechtlich festgehalten wird. Ihre Freilassung ist geknüpft an eine Forderung, die erfüllt werden soll.
Obwohl es nicht das erste Bild ist, das Entführer von ihrem Opfer veröffentlichen, wird genau dieses Bild zur Ikone dieser Zeit, d.h in einem Foto zeigt sich das Drama aller Beteiligten.
Das ist nur dein erster Eindruck. Er ist dein Zugang zum Bild. Dein Eindruck kann sich bestätigen, oder du änderst ihn.
Denke dabei an Raum, Gestik, Mimik, Zeichen, Gegenstände, Kleidung, Begriffe
„Jedes Bild enthält drei Ebenen, die von unten nach oben oder von vorn nach hinten gelesen werden können: das Schild, den Mann, das Logo. Dabei ist die Reihenfolge wichtig: Erst die propagandistische Information, dann das Bild des Opfers als Beleg, darüber oder dahinter der teleologische Bezug zur Macht, das Logo als Signet…“
(Sachsse 469)
Rolf Sachsse: Die Entführung. Die RAF als Bildermaschine. In: Das Jahrhundert der Bilder, hrsg. v.
Gerhard Paul. Bonn
2008. S. 466-473.
Achtung: Ziehe nur logische Verknüpfungen. Nicht alle Informationen haben auch etwas mit der Entführung zu tun.
Hier ein Beispiel, an dem du ein eigener Text orientieren kannst: Verknüpfung von Gefangener (Plakat) und Volksgefängnis:
Schleyer wird auf dem Plakat als Gefangener bezeichnet und nicht als Geisel. Die RAF will damit deutlich machen, dass sie im Sinne eines Gesetzes (rechtens) handelt. Für die RAF ist die Entführung also keine Straftat. Sie agiert im Auftrag des Volkes (Volksgefängnis).